Warum der demokratische Rechtstaat keine Pause haben darf

Wir erleben reines Exekutivhandeln gegenwärtig. Richtig wäre es, den Gesetzgeber, also das Parlament, darüber entscheiden zu lassen, welche Maßnahmen wie lange erforderlich sind. Es gilt jetzt, dass unsere parlamentarische Demokratie gestärkt wird. ...

Noch vor wenigen Wochen hätten wir uns nicht vorstellen können, dass wir heute öffentliche Wege, Straßen und Plätze nicht mehr ohne hinreichenden Grund betreten, dass wir keine Versammlungen durchführen, ja, dass wir im Park nicht mal mehr auf einer Bank einfach so in der Sonne verweilen dürfen.

Ebenso hätten wir uns nicht vorstellen können, dass wir Menschen, die aus einem anderen Land nach Deutschland einreisen, auch wenn sie keinerlei Krankheitssymptome haben, für 14 Tage in eine häusliche Quarantäne schicken – mithin einen massiven Eingriff in ihre Bewegungsfreiheit zulassen.

Alle Maßnahmen, die wir seit den ersten Erkrankungen mit SARS-Cov-2 erleben, basieren auf dem Infektionsschutzgesetz. Das Infektionsschutzgesetz ist letztlich ein Notstandsgesetz und man hat den Eindruck, alles, wirklich alles, könne man mit dem Infektionsschutzgesetz begründen. Dabei sieht das Infektionsschutzgesetz lediglich vor, dass die Behörden die „notwendigen Maßnahmen“ ergreifen dürfen.

Reicht diese Generalklausel aus, um so umfangreiche Beschränkungen unserer Grundrechte hinzunehmen? Ich habe den Eindruck, dass wir darüber keine ehrliche Debatte führen. Wenn es darum geht, Maßnahmen anzuzweifeln oder zu hinterfragen, wird einem schnell der Vorwurf gemacht, man würde das Virus nicht ernst nehmen, man würde willentlich die Gesundheit der Bevölkerung gefährden und so weiter.

Aber ist es nicht richtig und notwendig, dass wir in einer freiheitlichen Demokratie jeden Tag darüber nachdenken, ob Grundrechtseinschränkungen wirklich hinnehmbar sind?

Welche sozialen und auch wirtschaftlichen Auswirkungen haben denn die Maßnahmen, die wir seit einigen Wochen haben? Einen Anstieg der häuslichen Gewalt, Kindeswohlgefährdung, Verarmung, Existenzgefährdung und psychische Probleme von Menschen, die in Kurzarbeit sind, denen als Selbstständige die Aufträge wegbrechen oder die ihren Arbeitsplatz verloren haben – Arbeitslosigkeit und Existenzangst wiederum führen auch zu gesundheitlichen Problemen.

Wir müssen also eine Diskussion darüber führen, welche Grundrechtseinschränkungen akzeptabel sind und welche auch einfach nicht gehen.

Exemplarisch dafür ist die Diskussion um die Einführung einer Corona-App. Soll sie freiwillig sein, oder soll sie, wie der Vorsitzende der Jungen Union dies gerade gefordert hat, automatisch auf jedes Handy aufgespielt werden?

Eine linke Antwort kann nur sein: Natürlich muss sie freiwillig sein. Es ist absurd, wenn eine Debatte darüber geführt wird, ob eine App automatisch auf unsere Handys aufgespielt werden darf. Welche Daten ich an wen preisgebe entscheide alleine ich. Wenn ich mich dafür entscheide, alle möglichen Daten auf Facebook zu posten, dann kann man das toll finden oder kritisieren. Aber es ist meine eigene Entscheidung. Wenn mir eine Überwachungsapp auf mein Handy gespielt wird, dann ist das ein Schritt weg von einer freiheitlichen Demokratie hin zu einem Überwachungsstaat.

Aber es stellen sich weitere Fragen: Wieso sind eigentlich Lebensmittelläden und Baumärkte offen, wohingegen Bekleidungs-, Buch- und Fahrradläden (um nur einige zu nennen) nicht öffnen dürfen?

Wenn man in Lebensmittelläden sinnvollerweise Hygienestandards einhalten kann, dann kann man das natürlich auch in anderen Geschäften. Gerade in den kleineren Einzelhandelsgeschäften ist das sogar einfacher als in großen Supermärkten.

Und wenn wir Schulen schließen, dann müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass Kinder aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen keine weiteren Nachteile erleiden.  Die Schulen dürfen dabei nicht alleine gelassen werden. Man muss auch die Frage beantworten, wie man die Schulen wieder öffnet und dabei Hygienestandards einhält.

Wie geht es denn jetzt weiter? Wie öffnen wir die Schulen, wie lassen wir unternehmerisches Handeln wieder zu? Wie soll unser soziales Leben gestaltet werden? Wie schützen wir die Bevölkerung am besten, ohne den Lockdown bis ins Unendliche ziehen zu müssen? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Diese Fragen können aber nicht durch Exekutiventscheidung in einem Ministerium beantwortet werden. Diese Fragen dürfen nicht nur auf Regierungsebene beraten, sondern muss auch durch den Gesetzgeber diskutiert werden.

Ich will nicht falsch verstanden werden. Selbstverständlich ist es absolut notwendig, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, die eine Ausbreitung des Virus verhindern und die Leben retten. Das muss jedoch auf einem unzweifelhaften rechtsstaatlichen Verfahren basieren.

Das Bundeverfassungsgericht hat mehrfach geurteilt, dass jeder Grundrechtseingriff einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Ich finde, man muss schon die Frage stellen, warum es in Brandenburg nur eine Ressortverordnung und keine Regierungsverordnung gibt. Das bedeutet im Endeffekt, dass man die Verantwortung auf eine einzelne Ministerin abwälzt, obwohl in so einer Krise die gesamte Regierung Verantwortung übernehmen müsste.

Wir erleben reines Exekutivhandeln gegenwärtig. Richtig wäre es, den Gesetzgeber, also das Parlament, darüber entscheiden zu lassen, welche Maßnahmen wie lange erforderlich sind. Es gilt jetzt, dass unsere parlamentarische Demokratie gestärkt wird.

Mit einer möglichen Verlängerung der Maßnahmen auf Basis einer Ressortverordnung werden auch die verfassungsrechtlichen Hürden deutlich höher. Bisher sind bis auf eine Verordnung des brandenburgischen Landkreises Ostprignitz-Ruppin und eine des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern keine Verordnungen gekippt worden. Aber das wird nicht immer so laufen. Schon bei einer Verlängerung in der Woche nach Ostern wird das Bundesverfassungsgericht höhere Hürden anlegen – dessen bin ich sicher.

In der jetzigen Zeit die Parlamente weitgehend auszuklammern, die Abgeordneten nicht mehr gestalten zu lassen und alle Maßnahmen in den Bereich der Exekutive zu schieben, ist fahrlässig. Akzeptanz durch die Bürger*innen wird es nicht auf Dauer dafür geben.